Auf den Spuren meiner Ahnen

Familienforschung Köbler

Fridtjof Nansen

Norwegischer Polarforscher und Zoologe

Fridtjof Wedel-Jarlsberg Nansen (* 10. Oktober 1861 in Store Frøen bei Christiania (Oslo); † 13. Mai 1930 in Lysaker bei Oslo) war ein norwegischer Zoologe, Polarforscher, Diplomat und Friedensnobelpreisträger.

Nansen studierte Zoologie an der Universität von Christiania und war später als Kurator des Bergen Museums tätig, wo er eine Doktorarbeit über das Zentralnervensystem niederer Meerestiere verfasste, die bedeutende Beiträge zu den Grundlagen der modernen Neurologie lieferte. Ab 1897 widmete er sich der damals noch jungen Forschungsdisziplin Ozeanographie, unternahm hierzu mehrere Forschungsreisen hauptsächlich in den Nordatlantik und war an der Entwicklung von Gerätschaften für die Meeresforschung beteiligt.

In seiner Tätigkeit als Polarforscher durchquerte er 1888 als Erster Grönland über das Inlandeis und stellte während seiner Nordpolarexpedition (1893–1896) gemeinsam mit Fredrik Hjalmar Johansen am 8. April 1895 mit einer geographischen Breite von 86° 13,6′ N einen neuen Rekord in der bis dahin größten erreichten Annäherung an den geographischen Nordpol auf. Er revolutionierte die Techniken des polaren Reisens und beeinflusste damit alle nachfolgenden Expeditionen in Arktis und Antarktis.

Bei den Bestrebungen zur politischen Unabhängigkeit Norwegens nahm Nansen als einer der angesehensten Bürger seines Landes eine Schlüsselfunktion ein. Im Jahr 1905 war er ein vehementer Verfechter für die Beendigung der seit 1814 bestehenden schwedisch-norwegischen Personalunion und half bei der Inthronisation des damaligen Prinzen von Dänemark zum norwegischen König Haakon VII. Zwischen 1906 und 1908 arbeitete Nansen im diplomatischen Dienst in London, wo er an den Verhandlungen zur völkerrechtlichen Anerkennung der Souveränität Norwegens beteiligt war.

Im letzten Jahrzehnt seines Lebens diente Nansen als Hochkommissar für Flüchtlingsfragen dem nach dem Ersten Weltkrieg gegründeten Völkerbund. Für seine Verdienste um die internationale Flüchtlingshilfe erhielt er 1922 den Friedensnobelpreis.

Nansens Vorfahren stammten aus Dänemark. Zu ihnen zählt der Geschäftsmann und spätere Bürgermeister von Kopenhagen Hans Nansen (1598–1667), der zur Erschließung neuer Handelsrouten nach Russland an frühen Erkundungsfahrten in die Region des Weißen Meeres teilgenommen hatte[1] und Autor des geografischen Handbuchs Compendium Cosmographicum von 1633 ist.[2] Das erste in Norwegen ansässige Familienmitglied war Nansens Urgroßvater Ancher Antoni Nansen (1729–1765), der Kopenhagen in den 1750er Jahren in die neue Heimat verließ. Dessen Sohn, Hans Leierdahl Nansen (1764–1821), war zunächst Amtsrichter im Bezirk Trondheim und später in Jæren. Nachdem Norwegen durch den Kieler Frieden vom 14. Januar 1814 seine Unabhängigkeit von Dänemark erlangt hatte, wurde er Abgeordneter des Storting. Dort war er einer der Verfechter der aus dem Schwedisch-Norwegischen Krieg im August 1814 hervorgegangenen schwedisch-norwegischen Personalunion,[3] zu deren Auflösung sein Enkel 91 Jahre später beitrug.

Fridtjof Nansen wurde 1861 als zweites Kind des wohlhabenden Rechtsanwalts Baldur Nansen (1817–1885),[4] des Sohns von Hans Leierdahl Nansen, und dessen zweiter Ehefrau Adelaide Johanne Thekla Isidore Wedel-Jarlsberg (1821–1877)[5] auf dem Anwesen Store Frøen[6] (frei übersetzt: Die große fruchtbare Wiese) nördlich von Christiania geboren. Ihr erster Sohn, den sie ebenfalls Fridtjof getauft hatten, war 1859 geboren worden, jedoch bereits im Säuglingsalter gestorben.[7] Das dritte Kind war Fridtjofs jüngerer Bruder Alexander (1862–1945).[8] Nansens Mutter war die Nichte von Hermann Wedel-Jarlsberg, der zu den Vätern der norwegischen Verfassung gehört.[9] Die verwitwete Adelaide, deren erster Mann 1853 an der Cholera verstorben war, brachte fünf Kinder (drei Söhne und zwei Töchter) in die 1858 mit Baldur Nansen geschlossene Ehe ein.[10] Aus Baldur Nansens vorheriger Ehe stammte ein Sohn namens Moltke (1854–1867). Baldurs erste Frau war kurz nach der Geburt an Kindbettfieber gestorben.[11][12]

Nansens Kindheit und Jugendzeit war geprägt von der ländlichen Umgebung seines Elternhauses. Ab 1868 besuchte er die Schule in Christiania und galt als fleißiger Schüler, ohne jedoch besondere Vorlieben für ein Fach zu entwickeln.[12] Zu seinen Freizeitbeschäftigungen gehörte das Jagen und Fischen. Zeitweilig unternahm er auf sich allein gestellt ausgedehnte Expeditionswanderungen durch die benachbarten Wälder der Nordmarka, wo er nach eigenen Worten „wie Robinson Crusoe“ lebte.[13] Die Erziehung durch seinen tief religiösen Vater vermittelte ihm Pflichtbewusstsein und moralische Grundsätze.[14] Angeleitet durch seine sportlich ambitionierte Mutter war er von frühester Jugend an ein begeisterter Schwimmer, Eisschnellläufer und Skisportler.[12] Im Alter von zehn Jahren begann er auf den Hügeln von Ullern mit dem Skispringen, was ihn beinahe das Leben kostete. Nansen überlebte einen schweren Sturz nahezu unverletzt.[11] Trotz dieses Zwischenfalls blieb die Leidenschaft für den Wintersport ungebrochen. Weihnachten 1882 fuhr er auf Skiern eine Tour, die einem Gewaltmarsch gleichkam, von Bergen nach Christiania und zurück.[15] Einige Quellen berichten zudem, dass er zwölf Mal die nationalen Meisterschaften im Skilanglauf gewann und im Alter von 18 Jahren einen Weltrekord im Eisschnelllauf über die Distanz von einer Meile aufstellte.[16][17][18][19][20]

Nansens Leben erfuhr im Sommer 1877 eine Zäsur, als seine Mutter unerwartet starb. Sein Vater verkaufte den Familiensitz Store Frøen und zog mit den noch unmündigen Söhnen Fridtjof und Alexander nach Christiania.[21]

Die Idee zur Durchquerung Grönlands entstand während Nansens Reise auf der Viking. Gebunden durch seine Tätigkeit am Bergen Museum und einen vorübergehenden Aufenthalt an der Zoologischen Station Neapel konnte er seine Pläne erst nach den abgeschlossenen Forschungen zu seiner Doktorarbeit wieder aufnehmen. Vor ihm hatten bereits Adolf Erik Nordenskiöld (1883) und Robert Peary (1886) von der an der Westküste gelegenen Diskobucht Vorstöße über eine Strecke von maximal etwa 160 km in das Inselinnere unternommen.[36] Im Unterschied zu deren Vorgehen beabsichtigte Nansen, Grönland von Ost nach West zu queren. Er hielt es für ein geringeres Risiko, eine Mannschaft an der unbewohnten Ostküste mit dem Schiff abzusetzen, statt sie dort nach einer Durchquerung aufnehmen zu müssen.[37] Seit der Fahrt mit der Viking kannte er die dort anzutreffenden Bedingungen, in denen ein Schiff bei längerem Aufenthalt Gefahr lief, entweder durch Packeis festgesetzt oder durch sich auftürmende Eismassen, wie sie durch die vorherrschende Meeresströmung entstehen, beschädigt zu werden. Außerdem, so Nansens Überlegung, wäre die Mannschaft aufgrund der fehlenden Rückzugsmöglichkeiten in jedem Fall gezwungen, ihren Weg nach Westen fortzusetzen:[38] „Würden sie [dagegen] von Westen aus starten, […] wäre es so gut wie sicher, dass sie niemals hinüber kommen. Die Fleischtöpfe Ägyptens lägen hinter ihnen und vor ihnen die unerforschte Eiswüste […].“[39]

Nansen lehnte die Praxis vorangegangener Expeditionen ab, mit einer großen Teilnehmerzahl und hohem Materialaufwand vorzugehen. Stattdessen bestand seine Mannschaft nur aus sechs Männern. Er beabsichtigte, Ausrüstung und Versorgungsgüter auf eigens dafür präparierten Schlitten zu transportieren. Ein Großteil der Ausrüstung, darunter Kleidung, Schlafsäcke und Kochutensilien, ließ Nansen nach eigenen Entwürfen anfertigen.[40] Die Presse kommentierte seine Pläne, die er im Januar 1888 in der norwegischen Zeitschrift Naturen bekanntgegeben hatte,[41] skeptisch bis ablehnend. In einem Artikel der dänischen Zeitschrift Ny Jord hatte der Autor keinen Zweifel, „sollte Nansens Plan in der gegenwärtigen Form in die Tat umgesetzt werden, […] stehen die Chancen zehn zu eins, dass er […] sein Leben und möglicherweise das anderer völlig sinnlos wegwirft […].“[42][43] Das norwegische Parlament verweigerte eine finanzielle Unterstützung in der Meinung, ein solch riskantes Vorhaben nicht noch aufwerten zu dürfen. Die notwendigen Mittel trug Nansen durch eine Spende des dänischen Geschäftsmanns Augustin Gamél (1839–1904) sowie über eine Sammlung zusammen, welche norwegische Studenten für ihn durchgeführt hatten.[44]

Trotz der negativen öffentlichen Resonanz erhielt Nansen zahlreiche Bewerbungen für die Teilnahme an seiner Expedition.[45] Seine Hoffnung, erfahrene Skiläufer aus der Telemark rekrutieren zu können, erfüllte sich dagegen nicht.[46] Nordenskiöld riet ihm, auf die Erfahrungen der Samen aus der nordnorwegischen Finnmark zurückzugreifen, und so nahm Nansen zwei von ihnen, Samuel Johannesen Balto (1861–1921)[47] und Ole Nilsen Ravna (1841–1906),[48] in seine Mannschaft auf.[49] Zu den übrigen Teilnehmern gehörten der vormalige Schiffskapitän Otto Sverdrup, der zuletzt als Gelegenheitsarbeiter unter anderem in der Holz- und Forstwirtschaft tätig gewesen war,[50] dessen Freund, der Bauer Kristian Kristiansen Trana (1865–1943),[51] und der Armeeoffizier Oluf Christian Dietrichson (1856–1942).[52][53] Alle Expeditionsmitglieder waren vertraut im Umgang mit extremer Kälte und beherrschten das Skifahren. Die Expedition brach auf, noch bevor Nansen das Prüfungsergebnis seiner Disputation erfahren hatte.[54]

Am 3. Juni 1888 ging Nansens Mannschaft im isländischen Ísafjörður an Bord des Robbenfängers Jason unter Kapitän Johan Mauritz Jacobsen (1853–1945). Am 11. Juni kam erstmals die Ostküste Grönlands in Sichtweite. Dichtes Packeis verhinderte allerdings eine direkte Anlandung. Als sich das Schiff der Küste am 17. Juli bis auf 20 km genähert hatte, bestiegen Nansen und seine Männer zwei Beiboote in der Hoffnung, über eisfreie Kanäle den Sermilikfjord bei Tasiilaq zu erreichen, der als Aufstiegsroute auf den grönländischen Eisschild in Frage kam.[55]

Laut Kapitän Jacobsen verließ die Mannschaft die Jason „bei guter Laune und mit größter Hoffnung auf einen glücklichen Ausgang“,[56] doch die ersten Tage waren von Fehlschlägen und Enttäuschungen geprägt. Der direkte Weg zur Küste blieb durch dichtes Eis versperrt. Schlechtes Wetter und eine starke Strömung trieben die Männer zudem weit nach Süden ab. Die meiste Zeit verbrachten sie auf dem Eis, da sie in den Booten Gefahr liefen, durch Eisdruck zu kentern. Am 29. Juli befanden sich die sechs Männer rund 380 km südlich der Position, an der sie die Jason verlassen hatten. Am selben Tag erreichten sie die Küste, jedoch zu weit südlich, um mit der geplanten Durchquerung beginnen zu können. Nach einer kurzen Rast beorderte Nansen die Männer, in den Booten gen Norden zu rudern.[57]

In den folgenden zwölf Tagen bahnten sie sich ihren Weg entlang der Küstenlinie durch treibendes Eis. Bereits am ersten Tag trafen sie auf eine größere Inuit-Siedlung in der Nähe von Kap Bille (62° 0′ N, 42° 7′ W62-42.116666666667) und auch an den weiteren Tagen begegneten sie vereinzelt Einheimischen.[58] Am 11. August hatten sie nach 200 km Wegstrecke nach Norden den Umiivikfjord (64° 19′ N, 40° 36′ W64.316666666667-40.6) erreicht. Obwohl sie noch weit von ihrem geplanten Startpunkt entfernt waren, entschied Nansen angesichts der fortgeschrittenen Jahreszeit, von hier aus mit dem Marsch zu beginnen.[59] Nach einigen Tagen der Vorbereitung machten sich die Expeditionsteilnehmer am Abend des 15. August auf den Weg. Ihr Ziel, die Siedlung Christianshåb in der Diskobucht, lag 600 km in nordwestlicher Richtung von ihnen entfernt.[60]

 
Rückkehr der Expeditionsteilnehmer nach Norwegen (v.l.n.r.: Balto, Kristiansen, Ravna, Dietrichson, Nansen und Sverdrup). Zeichnung aus Nansens Reisebericht The first crossing of Greenland[61]

In den ersten Tagen ihres Marsches kämpften sich die Männer mit ihren Schlitten im Schlepptau in kontinuierlichem Anstieg auf Eis mit verborgenen Gletscherspalten ins Landesinnere vor. Das Wetter war überwiegend schlecht; zwischenzeitlich wurde die Mannschaft durch einen heftigen Sturm und Dauerregen gestoppt.[62] Am 26. August erkannte Nansen, dass ihre Chancen verschwindend gering waren, bis Mitte September nach Christianshåb zu gelangen, um dort das letzte Schiff für ihre Rückreise rechtzeitig erreichen zu können. Er entschied, nunmehr in direkter westlicher Richtung Godthåb anzusteuern, das noch 150 km von ihnen entfernt lag. Nach Nansens Darstellung „begrüßte [die Mannschaft] die Änderung des Plans mit Beifall.“[63] Der Aufstieg auf den Eisschild setzte sich fort, bis sie am 11. September bei nächtlichen Temperaturen von −46 °C eine Höhe von 2719 Metern über dem Meeresspiegel erreichten.[64] Von da an wurde ihr Weg durch ein leichtes Gefälle einfacher, wenngleich das Gelände unvorhersehbar und das Wetter unangenehm blieben.[65] Neuschnee, der gemäß Nansens Schilderung so stumpf war, als zöge man die Schlitten über Sand, erschwerte ihr Vorwärtskommen. Am 26. September erreichten die Männer den Ameralikfjord (64° 7′ N, 51° 0′ W64.116666666667-51). Aus Weidenruten, Teilen ihrer Zelte und eines Transportschlittens konstruierten sie notdürftig ein Boot, in dem Nansen allein mit Sverdrup am 29. September zur letzten Etappe ihrer Reise aufbrach.[66] Nach weiteren 100 km gelangten beide Männer schließlich am 3. Oktober nach Godthåb, wo sie der dänische Statthalter begrüßte. Von diesem erfuhr Nansen, dass ihm der Doktortitel (norwegisch: dr. philos., englisch: Ph.D.[67]) verliehen worden war; eine Angelegenheit, „die in diesem Moment nicht weiter entfernt von meinen Gedanken hätte liegen können.“[68] Für den Marsch durch Grönland hatten sie 49 Tage benötigt; insgesamt waren 78 Tage vergangen, seit die Mannschaft die Jason verlassen hatte. Es wurden zwei Boote ausgesendet, um die übrigen Expeditionsteilnehmer zu holen. Am 12. Oktober waren die Männer wieder vereint.

Der Herbst war inzwischen so weit fortgeschritten, dass kein Schiff mehr von Godthåb nach Europa fuhr. Nansen beauftragte einen Inuk, mit dem Kajak zum 300 km südlich gelegene Ivigtût zu fahren und dort Nachrichten zum erfolgreichen Verlauf der Expedition mit dem letzten Transportschiff nach Dänemark und Norwegen zu versenden. Für Nansens und Sverdrups spätere Unternehmungen stellte sich der Zwangsaufenthalt als günstig heraus. Während der sieben Monate dauernden Überwinterung in Godthåb studierten sie die Lebensweise der Inuit und erlernten Techniken zum Überleben in der Arktis und zum Gebrauch von Hundeschlitten als Transportmittel.[69] Seine Erinnerungen an die gemeinsame Zeit mit den Inuit hielt Nansen später im Buch Eskimoliv (deutsche Fassung: Eskimoleben)[70] fest. Am 25. April 1889 fuhren Nansen und seine Männer an Bord der Hvidbjørnen von Godthåb zunächst nach Dänemark, „[…] nicht ohne Bedauern diesen Ort und diese Menschen [zu verlassen], unter denen wir uns so wohlfühlten.“[71] Nach einem Zwischenaufenthalt in Kopenhagen trafen die Expeditionsteilnehmer an Bord des Postschiffs M. G. Melchior, das bei der Fahrt durch den Christianiafjord von Hunderten Booten begleitet wurde, am 30. Mai 1889 in Christiania ein.[72][73]

Mit seiner Expedition gelang Nansen der Nachweis, dass das Innere Grönlands von Schnee und Eis bedeckt ist. Hinzu kamen neue Erkenntnisse und Beobachtungen zur Geographie und vor allem zur Ausdehnung und Bewegung der Gletscher Grönlands. Seine Messungen trugen zum besseren Verständnis der meteorologischen Verhältnisse und der Wetterentstehung in Europa und im nördlichen Atlantik bei.[20]

Nansen und seine Männer wurden in Christiania von rund 40.000 Schaulustigen, etwa einem Drittel der Einwohner der Stadt, empfangen. Nansens Nachrichten zum erfolgreichen Verlauf der Grönland-Expedition waren in Dänemark und Norwegen bereits im vergangenen Oktober eingetroffen. Die Begeisterung und das Interesse an den Erfolgen der Expedition führten noch im gleichen Jahr zur Gründung der Norwegischen Geographischen Gesellschaft.[74] Zudem gewann der Skisport in Norwegen durch Nansens Grönlanddurchquerung enorm an Popularität.[75]

In der Folge nahm Nansen eine Stelle als Kurator der zoologischen Sammlung der Universität von Christiania an, die ihn zu nichts verpflichtete und für ein geregeltes Einkommen sorgte. Die Universität begnügte sich damit, sich mit Nansens gutem Namen zu schmücken.[74] Seine sich selbst auferlegte Hauptaufgabe bestand darin, die Ergebnisse seiner Grönlandexpedition zu veröffentlichen. Im Juni 1889 besuchte er London, wo es zu einem Treffen mit dem englischen Thronfolger Prinz Albert Edward kam und er an einer Tagung der Royal Geographical Society teilnahm. Deren Präsident, Sir Mountstuart Grant Duff (1829–1906), erklärte, Nansen habe „die führende Position unter allen Nordlandreisenden“ eingenommen, und verlieh ihm in Anerkennung seiner Verdienste die Patronatsmedaille der Gesellschaft. Dies war nur eine von vielen Auszeichnungen, die Nansen in ganz Europa erhielt.[76] Zu ihnen zählten das Ritterkreuz des Sankt-Olav-Orden,[77] der Dannebrogorden (Ritter 1. Klasse),[78] die Carl-Ritter-Medaille der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin[79] und die Vega-Medaille der Schwedischen Gesellschaft für Anthropologie und Geographie.[80] Aus Australien wurde ihm das Angebot zur Teilnahme an einer Antarktisexpedition unterbreitet. Er schlug es jedoch in der Überzeugung aus, Norwegens Interessen besser zu vertreten, wenn er das Ziel verfolge, den Nordpol zu erreichen.[81]

Am 11. August 1889 gab Nansen die Verlobung mit Eva Sars (1858–1907), der jüngsten Tochter des norwegischen Zoologen Michael Sars und Schwester des Zoologen Georg Ossian Sars, bekannt.[82] Ihre Mutter Maren Cathrine Sars (1811–1898) war die Schwester des Dichters Johan Sebastian Welhaven.[83] Eva war nach einer Ausbildung bei Désirée Artôt eine erfolgreiche Mezzosopranistin. Sie und Nansen hatten sich einige Jahre zuvor beim Skifahren in Frognerseteren unweit des Holmenkollen kennengelernt.[76] Die Verlobung kam für viele seiner Freunde und Bekannten überraschend, da Nansen sich zuvor noch als Gegner der Institution Ehe gezeigt hatte. Die Hochzeit fand bereits kurz nach der Verlobung am 6. September 1889 statt.[82] Aus der gemeinsamen Ehe gingen fünf Kinder hervor: Liv (1893–1959), Kåre (1897–1964), Irmelin (1900–1977), Odd (1901–1973) und Asmund (1903–1913).[84]

Bereits vor seiner Grönland-Expedition war bei Nansen die Idee zu einer weiteren Forschungsreise entstanden. Den Hintergrund hierfür lieferte die vom norwegischen Meteorologen Henrik Mohn aufgestellte Theorie einer transpolaren Driftströmung.[85] Nansen glaubte, dass die durch die Meeresströmung verursachte Eisdrift im Arktischen Ozean es einem speziell dafür entworfenen Schiff ermögliche, im Packeis eingeschlossen in die Nähe des Nordpols zu gelangen. Seine Pläne, die er im Februar 1890 vor der Norwegischen Geographischen Gesellschaft offenlegte und die in der Fachwelt überwiegend auf Skepsis und Ablehnung stießen,[86][87] sahen vor, mit dem Expeditionsschiff und einer kleinen, gut ausgebildeten Mannschaft bis zu den Neusibirischen Inseln vorzudringen, dort das Schiff einfrieren zu lassen und es nachfolgend für den weiteren Reiseweg nach Norden der Eisdrift auszusetzen.[88]

Mit Hilfe öffentlicher und privater Sponsoren[89] ließ Nansen nach Plänen des norwegischen Konstrukteurs Colin Archer zwischen Juni 1891 und Oktober 1892 das Expeditionsschiff Fram erbauen. Durch die spezielle Rumpfkonstruktion mit ovalem Querschnitt sowie weitere technische Besonderheiten sollte sichergestellt werden, dass das Schiff im Packeis nicht beschädigt wird, sondern in Nansens Worten „wie ein Aal aus der Umarmung des Eises gleiten“ kann.[90]

Zur dreizehnköpfigen Mannschaft gehörten neben Nansen unter anderen der Veteran der Grönland-Expedition Otto Sverdrup als Kapitän der Fram und Fredrik Hjalmar Johansen.[91] Letzterer nahm später gleichfalls an der erfolgreichen Südpolexpedition unter der Leitung von Roald Amundsen teil.

Am 21. Juli 1893 verließ die Expeditionsmannschaft an Bord der Fram Vardø, den letzten norwegischen Zwischenhafen, in die östliche Barentssee. Nansen und seine Männer folgten dem Kurs von Nordenskiölds Nordostpassage. Nach einer Fahrt entlang der nordwestrussischen und nordsibirischen Küstenlinie erreichten sie Ende August das nördliche Ende der Taimyrhalbinsel.[92] Nachdem Packeis zwischenzeitlich eine Weiterfahrt verhindert hatte, umrundete die Fram am 9. September 1893 Kap Tscheljuskin und fuhr in die Laptewsee ein.[93] Am 5. Oktober schließlich wurde das Schiff, nachdem es vollständig vom Packeis eingeschlossen worden war, bei 78° 49′ N, 132° 53′ O78.816666666667132.88333333333 westlich der Kotelny-Insel „gründlich und gewissenhaft für den Winter festgemacht.“[94][95]

Die Eisdrift erwies sich zunächst als ein ernüchterndes Unterfangen, da weder Driftrichtung noch -geschwindigkeit den Berechnungen Nansens entsprachen. Am 19. November befand sich das Schiff nach sechswöchiger Eisdrift weiter südlich als zu Beginn[96] und erst am 2. Februar 1894 überquerte es 80° nördliche Breite.[97] Nansen errechnete, dass es bis zu fünf Jahre dauern könnte, bis das Schiff auf diese Weise den Nordpol erreicht.[98] Deshalb entschied er, die Fram zu einem geeigneten Zeitpunkt zu verlassen, um gemeinsam mit Fredrik Hjalmar Johansen den Nordpol mit Hilfe von Skiern und Schlittenhunden zu erreichen. Als Rückzugsgebiet wählte er Franz-Josef-Land, wo sie die Fram für die Heimreise wieder aufnehmen sollte.[99]

Am 14. März 1895, als die Fram eine Breite von 84° 4′ N erreicht hatte, brachen Nansen und Johansen mit zwei Kajaks, drei Transportschlitten und 28 Schlittenhunden zu Fuß zum Nordpol auf.[100] Nansen plante, die fehlenden 660 km bis zum Nordpol innerhalb von 50 Tagen zu bewältigen, was einem Tagespensum von 13 km entsprach. Nachdem beide Männer die ersten 120 km mit rund 17 km pro Tag zurückgelegt hatten, wurde das Gelände zunehmend uneben, was das Vorwärtskommen auf Skiern erschwerte und ihre Reisegeschwindigkeit herabsetzte. Zudem ergaben Positionsbestimmungen, dass sie gegen eine südliche Eisdrift anmarschierten und dass die täglich zurückgelegten Strecken sie nicht zwangsläufig ihrem Ziel näher brachten.[101] Auch die Kälte mit Temperaturen von −40 °C setzte ihnen zu. Aus Johansens Tagebuch geht die zunehmende Mutlosigkeit beider Männer zu diesem Zeitpunkt hervor: „Alle meine Finger sind zerstört. Die Handschuhe sind steifgefroren … Es wird schlimmer und schlimmer … Gott weiß, was aus uns wird.“[102] Nachdem sie ihr Lager am 7. April aufgeschlagen hatten, unternahm Nansen einen Erkundungsgang für ihren weiteren Weg nach Norden, doch das Einzige was er sah, war „ein wahres Chaos von Eisblöcken, das sich bis an den Horizont ausdehnt.“[103] Die letzte Positionsbestimmung am 8. April ergab eine nördliche Breite von 86° 13,6′, womit sie den vorherigen Nordrekord um fast drei Breitengrade übertroffen hatten.[104] Nansen entschied, nicht weiterzugehen und stattdessen Kap Fligely auf Franz-Josef-Land anzusteuern.

Der Rückweg war für Nansen und Johansen ein beschwerliches, gefahrvolles und vor allem langwieriges Unternehmen. Am 24. Juli 1895 sichteten beide Männer erstmals, seit sie die Fram verlassen hatten, eine Landmasse, „nachdem wir unseren Glauben daran schon beinahe aufgegeben hatten!“[105] Am 7. August setzten sie nach Erreichen der Eiskante in den Kajaks dorthin über.[106] Nansen war sich zu diesem Zeitpunkt nicht sicher, ob sie sich wirklich auf einer vorgelagerten Insel von Franz-Josef-Land befanden. Erst am 16. August identifizierte er eine Landspitze als Kap Felder, welches auf der Karte Julius von Payers an der Westküste von Franz-Josef-Land zu finden war.[107] Das Ziel lautete nun, den sogenannten Eira Harbour am südwestlichen Ende des Archipels und dort eine Hütte mit Versorgungsgütern zu erreichen, die von der britischen Arktisexpedition (1881–1882) unter Benjamin Leigh Smith errichtet worden war. Wechselnde Winde und treibendes Eis gefährdeten jedoch die Weiterfahrt in den Kajaks, sodass Nansen am 28. August entschied, aufgrund des nahenden Polarwinters an der Südwestküste der später als Jackson-Insel bekannten Insel ein Winterlager aufzuschlagen, um dort bis zum kommenden Frühjahr zu warten.[108] Ihr Aufenthalt in einem notdürftig errichteten Quartier dauerte acht Monate.

 
Nansen (links) und Johansen (rechts) im Quartier von Frederick George Jackson am Kap Flora (Juni 1896)

Am 19. Mai 1896 setzten Nansen und Johansen ihren Weg fort.[109] Für mehr als zwei Wochen folgten sie der Küstenlinie südwärts. Erneut schien keine Landmarke mit ihrer Karte von Franz-Josef-Land übereinzustimmen. Durch eine Wetteränderung am 4. Juni konnten sie ihren Weg erstmals seit dem Aufbruch vom Winterlager in den Kajaks fortsetzen. Am 17. Juni trafen Nansen und Johansen auf Frederick George Jackson, der sich auf einer eigenen Expedition nach Franz-Josef-Land befand und sein Hauptquartier am Kap Flora auf der Northbrook-Insel, der südlichsten Landmasse der Inselgruppe, aufgeschlagen hatte.[110] Dort warteten Nansen und Johansen in den nächsten Wochen auf das Eintreffen von Jacksons Versorgungsschiff Windward, das am 26. Juli am Kap Flora eintraf. Am 7. August fuhr die Windward mit Nansen und Johansen an Bord Richtung Norwegen. Vardø wurde am 13. August 1896 erreicht, und Nansen verschickte zahlreiche Telegramme mit der Nachricht seiner sicheren Rückkehr.[111] In Tromsø kam es am 21. August 1896 zu einem überschwänglichen Wiedersehen zwischen Nansen, Johansen und den übrigen Expeditionsteilnehmern, die mit der Fram in Norwegen eingetroffen waren.[112]

Nachdem Nansen und Johansen im März 1895 zu ihrem Marsch aufgebrochen waren, hatte die restliche Mannschaft unter der Leitung von Otto Sverdrup die Drift mit der Fram fortgesetzt. Diese hatte bis zum 13. August 1896 gedauert, als das Schiff nordwestlich von Spitzbergen ins offene Wasser gelangt war.[113] Nansens ursprüngliche Annahme über die Richtung der Eisdrift hatte sich damit bestätigt.[114] Das Schiff hatte zunächst Spitzbergen angelaufen. Über den Verbleib von Nansen und Johansen war zu diesem Zeitpunkt nichts bekannt. Nach einem kurzen Landaufenthalt war die Mannschaft daher mit der Fram nach Norwegen zurückgekehrt.[113]

Ergebnisse und Nachwirkungen der Expedition

 
Die Expeditionsmannschaft nach der Rückkehr der Fram nach Christiania im September 1896. Hintere Reihe (v.l.n.r.): Blessing, Nordahl, Mogstad, Henriksen, Pettersen und Johansen. Vordere Reihe (v.l.n.r.): Bentzen, Scott-Hansen, Sverdrup, Amundsen (mit Hund), Jacobsen, Nansen und Juell.

Bei der Ankunft in Christiania am 9. September 1896 geleitete ein Geschwader von Kriegsschiffen die Fram in den Hafen, wo laut Roland Huntford die größte Menschenmenge, die die Stadt bis dahin gesehen hatte, die Mannschaft frenetisch umjubelte.[115] Aus aller Welt trafen Glückwünsche ein. So schrieb beispielsweise der britische Bergsteiger Edward Whymper, Nansen habe mit seiner Expedition „beinahe den gleichen Fortschritt erreicht wie alle übrigen Forschungsreisen des 19. Jahrhunderts zusammen.“[116]

Nansens erste Aufgabe nach Rückkehr der Expedition war die Veröffentlichung eines Reiseberichts. Bereits im November 1896 war die norwegische Fassung seines Buches Fram over Polhavet fertig, das 1897 unter dem Titel In Nacht und Eis als deutschsprachige Ausgabe und in englischer Sprache unter dem Titel Farthest North erschien.[117] Er scheute sich nicht, darin auch Kritiker zu Wort kommen zu lassen. Das Buch enthielt eine durch Nansen unkommentierte und vorab im Magazin Harper’s Weekly veröffentlichte Anmerkung Adolphus Greelys, der in scharfer Form Nansens vermeintliche Pflichtverletzung kritisierte, beim Verlassen der Fram die anderen Expeditionsteilnehmer Hunderte von Kilometern von sicherem Land entfernt auf sich allein gestellt ihrem Schicksal überlassen zu haben.[118] Trotz dieser Kritik war die Veröffentlichung des Buches ein großer Erfolg und machte Nansen finanziell unabhängig.[119] Wie bereits nach der Grönlandexpedition, so erhielt Nansen auch nach dieser Reise zahlreiche Auszeichnungen aus dem In- und Ausland. König Oscar II. verlieh ihm und Otto Sverdrup im September 1896 das Großkreuz des Sankt-Olav-Orden.[120] Im Verlauf einer Vortragsreise durch Europa im Frühjahr 1897 ehrte ihn die Société de Géographie mit der Goldmedaille der Gesellschaft und der französische Präsident Félix Faure erhob ihn in den Rang eines Kommandeurs der Ehrenlegion.[121][122] In Russland zeichnete ihn Zar Nikolaus II. mit dem Sankt-Stanislaus-Orden (1. Klasse) aus[123] und in Deutschland verlieh ihm die Gesellschaft für Erdkunde gleichfalls eine Goldmedaille,[124] die Alexander-von-Humboldt-Medaille.[125] Der österreichische Kaiser Franz Joseph I. überreichte ihm das Großkreuz des Franz-Joseph-Orden[126] und auch in England sowie im Oktober 1897 bei Vorträgen in den Vereinigten Staaten wurde Nansen mit Auszeichnungen und Ehrungen bedacht.[127] Darüber hinaus machten ihn zahlreiche Akademien und Gesellschaften zum Ehrenmitglied, einschließlich der Norwegischen Akademie der Wissenschaften, der Königlich Norwegischen Gesellschaft der Wissenschaften und der Royal Geographical Society.

Obwohl Nansen das Hauptziel, den geographischen Nordpol erstmals zu erreichen, verfehlt hatte, lieferte die Expedition bedeutende geographische Entdeckungen und allgemeinwissenschaftliche Erkenntnisse. Dazu trugen insbesondere die während der Eisdrift der Fram durchgeführten meteorologischen und ozeanographischen Beobachtungen bei. Durch Nansens Beobachtungen wurde erstmals deutlich, dass es in den Eiswüsten sehr viel mehr Tierarten gibt als ursprünglich angenommen. Die von Henrik Mohn aufgestellte Theorie der transpolaren Driftströmung hatte sich bestätigt. Zudem erbrachten die erhobenen Daten erstmals den Beweis, dass der Nordpol weder auf Land noch auf einem dauerhaften Eisschild, sondern inmitten einer Zone beweglichen Packeises liegt. Der Arktische Ozean stellte sich nachweislich als ein Tiefseebecken ohne nennenswerte Landmassen nördlich des eurasischen Kontinents dar, da diese die beobachtete Eisdrift ansonsten behindert hätten.[128] Ein Jahrhundert nach dieser Expedition bezeichnete der britische Polarforscher Wally Herbert die Reise der Fram als „eines der begeisterndsten Beispiele für wagemutige Klugheit in der Geschichte der Forschungsreisen.“[129

Quellen Text und Bilder: Wikipedia